Wir haben die Scheie durchgezogen

November 2024 · 5 minute read

Horst Hru­besch, Jürgen Milewski, Holger Hie­ro­nymus, Man­fred Kaltz, Ditmar Jakobs und Bernd Weh­meyer – sechs Namen, die für die gol­dene Ära des HSV stehen. Im Juni 2013 ver­sam­melten wir sie im Restau­rant Die Raute“ im Ham­burger Volks­park­sta­dion, um mit ihnen über das 50-jäh­rige Bun­des­liga-Jubi­läum, Ernst Happel und Siege gegen Bayern oder Turin zu spre­chen. Das Inter­view erschien erst­mals in 11FREUNDE #138.

Sehr geehrte Herren, Ihre Lehr­meister waren zwei der bedeu­tendsten Trainer der Bun­des­li­ga­ge­schichte: Ernst Happel und Branko Zebec. Wären die beiden heute noch als Erst­li­ga­trainer denkbar?
Holger Hie­ro­nymus: Das habe ich mich oft gefragt. Mit Ernst würde es wohl besser funk­tio­nieren als mit Branko.
Horst Hru­besch: Ernst hätte heute keine Pro­bleme.

Er müsste aller­dings das Rau­chen ein­stellen.
Jürgen Milewski: Die Spieler aller­dings auch.

Sie haben geraucht?
Milewski: Und wie. Ich erin­nere mich an ein Spiel auf Schalke. Als wir dort aus dem Bus stiegen, haben uns die Leute gefragt, ob es im Innern des Bus gebrannt habe. Vorne saß der Alte und hat Kette gequalmt, hinten auf der Rück­bank saßen die Kar­ten­spieler und standen ihm in nichts nach. (Pause)
Man­fred Kaltz: So, um was geht’s denn hier eigent­lich?

Wir wollen mit Ihnen über das Jubi­läum 50 Jahre Bun­des­liga“ spre­chen. Zum Bei­spiel über Ihre Erin­ne­rungen an die Anfangs­zeit, an Timo Konietzkas Pre­mie­rentor.
Kaltz: Erin­ne­rungen? Ich habe damals kaum was mit­be­kommen. Als die Bun­des­liga los­ging, war ich zehn Jahre alt, der nächste große Klub, der 1. FC Kai­sers­lau­tern, war gefühlt eine halbe Welt­reise ent­fernt, und Fern­seher gab’s auch nicht. 
Milewski: Ach, Manni, natür­lich gab’s Fern­seher.
Kaltz: Du wieder. Wir hatten jeden­falls keinen zu Hause. Irgendwo bei uns in der Straße gab’s einen. Aber gesehen habe ich nichts. Die Geschichten aus den frühen Bun­des­li­ga­tagen kenne ich nur vom Hören­sagen.

Anstatt Fans zu sein, haben Sie also lieber selbst auf der Straße gespielt?
Hru­besch: Von mor­gens bis abends.

Hatten Sie keine Idole, so wie die Kinder heute?
Hru­besch: Auf dem Bolz­platz wollte ich immer Uwe Seeler sein. Kon­krete Bilder, etwa aus dem Sta­dion oder dem Fern­sehen, hatte ich dabei nicht. Ich kannte ihn aus dem Radio.
Bernd Weh­meyer: Ich wollte Stan Libuda sein.
Hru­besch: Hat aber nicht geklappt. (lacht)
Weh­meyer: Wie auch immer: Libuda hatte ich in der Glückauf-Kampf­bahn gesehen, als die deut­sche Natio­nal­mann­schaft dort gegen ein Team spielte, das sich aus Akteuren von West­falia Herne und Schalke 04 zusam­men­setzte. Ein Flut­licht­spiel unter der Woche. Ich saß bei meinem Vater auf den Schul­tern.

Wie war es bei Ihnen, Holger Hie­ro­nymus?
Hie­ro­nymus: Ich merke gerade, dass ich hier alters­mäßig ein biss­chen aus dem Rahmen falle – ich war beim Bun­des­li­ga­start erst vier Jahre alt.
Ditmar Jakobs: Da haben Sie den Fal­schen ein­ge­laden.
Hie­ro­nymus: Ein biss­chen Esprit unter diesen alten Män­nern kann aber nicht schaden. (lacht) In meiner Jugend waren Fern­seher Stan­dard, wir hatten sogar einen Farb­fern­seher. Die erfolg­reiche Zeit der Bayern und die WM 1974 – das sind meine ersten Erin­ne­rungen.

Träumten Sie in Ihrer Jugend davon, Profi zu werden?
Hru­besch: In den ersten fünf Jugend­spielen habe ich 25 Tore gemacht. Heute würde man sagen: Der wird mal Profi. Aber dar­über haben wir nicht nach­ge­dacht, wir haben ein­fach immer weiter gespielt, jeden Tag, Bolz­platz, Pau­senhof, Trai­ning im Klub, bis in den Abend. Kurzum: Es gab keinen Gene­ral­plan – und trotzdem fragten irgend­wann die grö­ßeren Ver­eine an.

Um was geht es hier eigent­lich?“ – Bege­gung mit Kaltz, Hru­besch und Co. »

Was wussten Sie über die Klubs, zu denen Sie später wech­selten? 
Jakobs: Das waren große Unbe­kannte. Ich habe meinen ersten Ver­trag bei Rot-Weiß Ober­hausen unter­schrieben, ohne dass ich die erste Mann­schaft je hatte spielen sehen.

Bis auf Sie, Holger Hie­ro­nymus, ist nie­mand in dieser Runde in Ham­burg auf­ge­wachsen. War der HSV ein Verein, den Nach­wuchs­ta­lente deutsch­land­weit in den Sieb­zi­gern bewun­derten?
Kaltz: Ich kannte Uwe Seeler, das war’s. Dass ich beim HSV gelandet bin, war reiner Zufall. Mein dama­liger A‑Ju­gend-Betreuer, Ger­hard Heid vom TuS Altrip, begann im Sommer 1970 als eine Art Scout beim HSV – und nahm mich kur­zer­hand aus der Pfalz mit nach Ham­burg. Damals war ich 17, und eigent­lich wäre der logi­sche Schritt ein Wechsel zum 1. FC Kai­sers­lau­tern gewesen.
Jakobs: Man kann sagen, mit Manni fing alles an. Seine erste Gene­ra­tion setzte das Fun­da­ment für die Erfolge unter Zebec und Happel.

Vorher gab es kaum Nicht-Ham­burger beim HSV.
Kaltz: Richtig, Heid und ich lockten erst­mals auch Aus­wär­tige nach Ham­burg: Caspar Meme­ring aus Bremen, Georg Vol­kert aus Nürn­berg oder Rudi Kargus von Wormatia Worms.

Es gab also Scou­ting in den frühen Sieb­zi­gern?
Kaltz: Klar.

Es heißt, Günter Netzer habe Sie, Horst Hru­besch, nie spielen sehen. Ihm reichte die Sta­tistik: 46 Tore in Ihrer letzten Zweit­li­ga­saison mit Rot-Weiss Essen.
Hru­besch: Da war er schlecht infor­miert. Es waren nur 42.

Er hat Sie also wirk­lich nie beob­achtet?
Hru­besch: Ja, und? Er hat doch alles richtig gemacht.
Weh­meyer: Zahlen lügen eben nicht.
Hru­besch: Stell dir vor, was aus ihm geworden wäre, wenn er mich nicht bekommen hätte? Im Ernst: Scou­ting war damals natür­lich nicht so pro­fes­sio­nell wie heute…
Jakobs: …erin­nere dich nur an meine Ver­pflich­tung.
Hru­besch: Eines Tages fragte Netzer: Wir brau­chen einen Abwehr­spieler! Kennst du einen?“ Ich sagte: Hol den Jakobs aus Duis­burg!“ Er war außer sich. Bist du irre? Gegen den hast du in den letzten zwei Spielen fünf Tore gemacht.“

Er hat es sich trotzdem über­legt.
Hru­besch: Und? Alles richtig gemacht.
Milewski: Aber irgend­je­mand muss euch doch vorher mal im Spiel gesehen haben. Ihr wart teil­weise richtig teuer.
Jakobs: Ich war der erste HSV-Spieler, der eine Mil­lion Mark gekostet hat.
Hru­besch: Moment. Für meine Wenig­keit hat der Netzer 1,65 Mil­lionen bezahlt. 

ncG1vNJzZmhpYZu%2FpsHNnZxnnJVkrrPAyKScpWennr9utMCbnKdllJ6ybr%2FCoZyiXXNocnqSxGabrqqTnbSmxs6gnKdnZW6Acn6U